Angehörige
« Zu Beginn habe ich gedacht: Es geht jetzt um Tage oder Wochen »
Die Diagnose Lungenkrebs fiel bei Tabeas Vater in eine schwierige Phase der Pandemie. Besuche im Spital waren nicht möglich und Informationen waren nur schwer zu bekommen. Doch Tabea, ihr Vater und ihre Familie meisterten die schwierige Situation und kamen sich als Familie noch näher als schon vorher. Und sie hatten Glück im Unglück.
Tabeas an Lungenkrebs erkranktem Vater geht es heute dank einer zielgerichteten Therapie soweit gut. «Dafür bin ich sehr dankbar», meint die 30-jährige Sportlehrerin. Der Weg hierhin war jedoch steinig für den Vater, für Tabea, für die Familie und der Ausgang ist offen.
Tabea ist eine lebensfrohe und unternehmungslustige junge Frau. «Stillsitzen ist nicht meine Sache», meint sie mit einem Augenzwinkern. Bei ihr ist immer etwas los und sie organsiert auch gerne und oft Events für ihren Freundeskreis. Generell haben für sie Freundschaften einen hohen Stellenwert: «Es ist mir wichtig, meine Freunde zu sehen, in der ganzen Schweiz». Als Sportlehrerin an der Kanti Wiedikon in Zürich ist für sie viel Bewegung ein Muss. Besonders Outdoor, also in der Natur. Sei es Biken, Schneesport, Laufen oder Hüttentouren in den Bergen. Und daneben findet sie auch noch Zeit für ein Germanistikstudium an der Uni Basel. Sie lebt heute mit ihrem Partner in Winterthur. Ihre Eltern wohnen im Kanton Baselland.
Krebs in der Pandemie
Als Tabea im Oktober 2020 von einer kurzen Reise nach Deutschland zurückkehrte, erwartete ihre Mutter sie am Bahnhof. «Das war schon einmal komisch, und liess nichts Gutes erahnen», blickt Tabea zurück. Ihre Mutter erklärte ihr, dass ihr Vater nach einem Zusammenbruch jetzt im Spital sei und auf Röntgenaufnahmen Auffälligkeiten in der Lunge zu sehen seien. Weitere Abklärungen und eine Biopsie führten zur Diagnose «nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom im Stadium 3b». Sehr schlechte und vor allem auch überraschende Nachrichten. «Mein Vater war Nichtraucher, ernährte sich gesund und trieb Sport», erklärt Tabea ihr Erstaunen. Eine Operation war leider nicht möglich. Hinzu kam, dass sich ihr Vater auch noch mit dem Coronavirus infizierte. Schliesslich entschied sich ihr Vater für die vorgeschlagene Chemotherapie und Bestrahlungen. Die Nebenwirkungen der um die Weihnachtszeit begonnen Therapien waren schwerwiegend: «Ich weiss, es ging ihm da sehr schlecht», erinnert sich Tabea. Leider zeigten die Behandlungen zudem nicht den erwünschten Erfolg. Nach dem 3. Zyklus der Chemotherapie war klar: Es braucht eine alternative Therapieform. Glücklicherweise fand man in den untersuchten Tumorzellen eine bestimmte Veränderung im Erbgut (eine Mutation), die für das unkontrollierte Wachstum dieser Zellen mitverantwortlich ist. Heute wird versucht, eine solche Veränderung mit «Zielgerichteten Medikamenten» zu behandeln. Das eingesetzte Medikament schlug glücklicherweise an und Tabeas Vater geht es heute soweit gut, er ist wieder sehr aktiv und die Nebenwirkungen sind akzeptabel.
Der Beginn der Erkrankung ihres Vaters fiel in eine schwierige Phase der Pandemie, unter andrem galt ein Besuchsverbot im Spital. Zudem war es für Tabea sehr schwierig fachliche Ansprechpersonen zu finden für die vielen Fragen, die sich auch für sie als Angehörige nach einer Lungenkrebsdiagnose ergaben. «Zu Beginn habe ich ja gedacht: Es geht jetzt um Tage oder Wochen», erinnert Tabea sich. Sie fühlte sich im Stich gelassen und musste vieles selbst recherchieren. «Manchmal habe ich mich bei Gesprächen mit Fachpersonen auch wie eine Nummer gefühlt, die rasch abgearbeitet werden muss», erinnert sie sich. Keine schönen Erinnerungen.
Durchhalten und zusammen wachsen
«Die grösste Sorge meines Vaters während seines Spitalaufenthaltes war, dass es seiner Familie gut geht», erzählt Tabea. Besuchen durfte ihn die Familie in dieser Phase der Pandemie nicht. Seine Botschaft an die Familie war: «Macht euch keine Sorgen, mir geht es gut». Kraft in dieser schwierigen Zeit schöpfte er aus seiner positiven Lebenseinstellung und aus den Beziehungen zu anderen Menschen, meint Tabea. «Mein Vater ist eine Frohnatur, so wie ich», hält Tabea fest. Man kam sich noch näher in der Familie. «Wir hatten schon vorher eine gute Beziehung, ich mein Bruder und unsere Eltern. Die Krise hat uns noch mehr zusammengeschweisst». Auch Tabeas Beziehung zu ihrem Bruder wurde enger. Und die gemeinsam verbrachte Zeit wurde immer wichtiger. Tabea meint dazu: «Das merkt man bei den Besuchen bei den Eltern. Heute machen wir meist etwas zusammen, treffen uns nicht «einfach». Es ist intensiver, bewusster».
Und Tabea? «Die Diagnose hat mir den Boden unter den Füssen weggezogen», fasst sie zusammen. Gefühlsmässig erlebte Tabea eine Berg- und Talfahrt. «Wieso mein Vater, wieso unsere Familie?», fragte sie sich. Denn ihr Vater lebte ja sehr gesund. Was ihr half, waren offene Gespräche vor allem auch mit Freund*innen und natürlich mit ihrer Familie, immer und immer wieder. «Ich brauchte das», ist sie sich sicher. Und dazwischen: Abschalten beim Ausdauertraining, das sie in dieser schweren Zeit intensivierte. «Man beginnt auch als Angehörige, sein Leben zu hinterfragen. Und man beginnt sich auch als noch junger Mensch mit der eigenen Endlichkeit und dem Tod auseinanderzusetzen», erklärt die sympathische 30-jährige.
Und das Umfeld?
«Am Anfang sind viele Menschen aus dem Umfeld der Familie mit der Diagnose überfordert gewesen», erzählt Tabea. Doch rasch waren die engen Freunde da und halfen, wo sie gebraucht wurden. Etwas findet Tabea dennoch schade: «Im Laufe der Zeit haben die Rückfragen aus dem Freundeskreis leider abgenommen. Und dies, obwohl ich immer sehr offen und intensiv über die Erkrankung meines Vaters gesprochen habe». Insgesamt ist das Fazit doch sehr positiv: Auf das Umfeld können sie und ihre Familie sich verlassen, auch in Zukunft.
Gemeinsam in die Zukunft
Tabea und ihrem Vater geht es heute gut. Ihr Vater arbeitet noch 40 % und ist zusammen mit seiner Frau viel mit dem neu gekauften Campingbus unterwegs, geniesst die gemeinsam verbrachte Zeit. Seine positive Haltung zur Krebserkrankung und natürliche Anwendungen, die sein Immunsystem stärken und ihm einfach guttun möchte er auch anderen Erkrankten weitergeben. Tabea ist froh, dass es ihrem Vater momentan gut geht. «Wir wissen jedoch alle, dass irgendwann schwierige Zeiten auf uns zukommen werden», sagt Tabea am Schluss des Gesprächs. Trotzdem sieht sie auch Positives: «Die Familie ist sich noch nähergekommen und wir leben heute alle viel bewusster», ist sie überzeugt. Und glücklicherweise können Tabea und ihr Vater als Frohnaturen auch in Zukunft auf viele eigene Stärken und Ressourcen bauen und auch auf ihr Umfeld zählen.