Betroffene
«Ich setze auf Akzeptanz und Hoffnung»
Gegen Krebs zu kämpfen ist nicht Verenas Sache. Das kostet sie einfach zu viel Energie. Stattdessen akzeptiert sie ihre beiden Krebserkrankungen als Teil ihres Lebens, findet Hoffnung wichtig und tankt Kraft in ihrer Partnerschaft. Und ist trotz allem auch eine Kämpferin.
«Verena ist den Menschen sehr zugewandt, hat breite Interessen, befasst sich intensiv mit medizinischen Fragen, ist versiert in psychologischen Fragen, liebenswürdig, offen und hilfsbereit»- So beschreibt sie eine Freundin, die Verena schon über 50 Jahre kennt. Die sympathische Ü-Siebzigerin lebt mit ihrem Partner in Lenzburg, spaziert gerne, liest interessiert Bücher zu medizinethischen Fragen und geht mit Freude unter Menschen. Zumindest wenn es ihr gesundheitlich gut geht. Dann besucht sie oft kranke und ältere Menschen oder steht generell Menschen mit Problemen bei. Und tankt dabei auch selbst wichtige Energie.
Krebs als Lebensbegleiter
Als Verena 28-jährig ist, erkrankt ihr Vater an Lungenkrebs, einige Jahre später auch ein Bruder. Bei beiden wird ein Adenokarzinom der Lunge diagnostiziert. Das ist ein nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom, wobei drüsenartige Zellen der Atemwege betroffen sind. Mit 30 trifft es Verena zum ersten Mal selbst: Sie erkrankt an Brustkrebs und wird operiert. «Seither habe ich eine stattliche Zahl von Jahren gut leben dürfen», schaut sie zurück. Bis vor vier Jahren, dann wird es wieder ernst: Sie erkrankt am selben Lungenkrebstyp, wie ihr Vater und ihr Bruder. «Schon einige Wochen vor der Diagnose habe ich gemerkt, dass etwas mit meiner Gesundheit nicht stimmt», erzählt Verena. Vor der Diagnose lud sie als begeisterte Köchin oft Freunde zum Essen ein. Das fiel ihr immer schwerer. Sie war oft einfach zu müde. Anfang Dezember 2018 bekommt sie Fieber und Husten, ab und zu bemerkt sie feine Blutstreifen im Auswurf. Ein Alarmsignal, das sie ernst nimmt. Ein Hausarzttermin ist kurzfristig nicht zu haben. Aber sie trifft bald darauf ihren Kardiologen, der sie sofort zum Röntgen schickt. Inzwischen ist es Mitte Januar 2019. Dann geht es Schlag auf Schlag: Bekämpfen der diagnostizierten Lungenentzündung, eine CT-Untersuchung, mehrere Überweisungen, Gespräche mit Ärzten. Und schliesslich Anfang Februar 2019 eine Lungenspiegelung (Bronchoskopie), bei welcher verdächtiges Lungenmaterial entnommen wird. Der Arzt meint, vor allem eine Stelle hätte ihm nicht gefallen. «Eigentlich war ich mir da schon sicher, dass es sich um etwas Bösartiges handelte», blickt Verena zurück. «So war es für mich keine totale Überraschung, als mir der Arzt vier Tage später mitteilte, dass es sich um ein nicht-kleinzelliges Adenokarzinom handle», sagt sie. Es folgten weitere Untersuchungen. Und einige Tage später lernt Verena «ihre» Onkologin kennen, die sie bis heute begleitet. Ein wichtiger Moment, denn eine gute Beziehung zu den behandelnden Ärzt*innen ist aus ihrer Sicht ausgesprochen wichtig für Betroffene. «Meine Onkologin betreut mich vortrefflich mit den besten Fachkenntnissen und grosser Empathie», schwärmt Verena.
Volles Programm: Medikament, Operation, Bestrahlung
Von ihrer Onkologin erfährt Verena, dass es gemäss CT drei auffällige Stellen gebe. Nur von einer Stelle können Gewebeproben entnommen werden. In den untersuchten Zellen entdeckten die Ärzte unter anderem eine Veränderung im Erbgut (eine Mutation), die unkontrolliertes Tumorwachstum auslöst. Glücklicherweise gibt es zielgerichtete Medikamente, die dem entgegenwirken können. Ein solches kommt bei Verena zum Einsatz. Mit der Zeit geht der Husten zurück. Auch das Gefühl «innerlich zu brennen» verschwindet. Und der Tumor geht zurück.
Bei den beiden anderen verdächtigen Stellen hilft das Medikament leider nicht. Schliesslich wird sie im Juli 2019 an der zweiten Stelle erfolgreich operiert. «In der anschliessenden REHA war ich körperlich so gut unterwegs, dass ich beim sportlichen Einstufungstest den Rekord in meiner Alterskategorie brach.» Ergebnis der Anstrengung: eine Lungenentzündung. Die dritte, schwerzugängliche Stelle wird im Januar 2020 erfolgreich bestrahlt. Seither nimmt sie «nur noch» täglich das oben erwähnte Medikament ein und meint dazu: «Es schenkt mir ein zweites Leben».
Von Akzeptanz, Hoffnung und Partnerschaft
Wie ist Verena mit ihren Krebsdiagnosen umgegangen? «Gegen meinen Krebs zu kämpfen ist nicht meine Sache. Das kostet einfach zu viel Energie», erklärt sie. Diese Energie setzt sie lieber anderswo ein, dort wo es ihr etwas bringt, ihr gut tut. Dazu passt auch, dass Verena für sich entschied: «Prognosen interessieren mich nicht!». Nicht um den Kopf in den Sand zu stecken, sondern um nicht immer an der Prognose oder an einer Prozentzahl herumzudenken, wie sie das bei anderen Betroffenen beobachtet hat. Also akzeptiert sie ihre Krebserkrankung als Teil ihres Lebens? «Ja, das ist wohl Akzeptanz», meint sie nach einer Pause. Ihr zweites Standbein ist die Hoffnung. Betroffenen Hoffnung zu geben ist ihr so wichtig, dass sie zu diesem Thema auch schon einen Anlass für Ärzte organisiert hat. Hoffnung gibt ihr auch ihr Mann. Er ist für Verena eine sehr grosse Stütze, ihr drittes Standbein beim Umgang mit Krebs. «Er geht emotional mit und denkt positiv wie ich», erzählt sie.
Dies alles erklärt, warum die Lungenkrebsdiagnose Verena nicht schockiert, wohl aber nachdenklich gemacht hat. «Das war schon bei der Brustkrebsdiagnose so», erzählt sie. «Nach der Mitteilung der Lungenkrebsdiagnose spazierten mein Mann und ich zum Zürichberg, wo wir im Restaurant ein Cüpli getrunken haben. Seither ist das beinahe zu einer angenehmen Gewohnheit geworden, dass wir uns, nach Mitteilungen von Diagnosen, ob gut oder nicht gut, ein Cüpli gönnen».
Das Heute und die Zukunft
«Ich führe heute ein normales Leben», meint sie. Die Nebenwirkungen und Einschränkungen sind akzeptabel. «Ich lebe gerne und versuche auch das Leben gemächlicher zu nehmen», stellt sie mit einem Augenzwinkern fest. Das fällt Verena als «Frau der Tat» nicht leicht. Schaut sie optimistisch in die Zukunft? Ja, aber; denn eine traumatisierende Erfahrung in einer Notfallaufnahme eines Spitals gibt ihr zu denken. Vieles ist für sie dort total schief gelaufen. Und auch der Pflegenotstand macht ihr grosse Angst. «Denn ich bin immer mehr auf eine gute Gesundheitsversorgung angewiesen», weiss sie. Und sie handelt: Sie schreibt einen Leserbrief, spricht engagiert mit den verantwortlichen Ärzten. Verena ist also trotz allem auch eine Kämpferin, zumindest wenn sie etwas ungerecht findet.
Für medizinische Fachpersonen
Befund der biopsierten Stelle | PET-CT vom 24. 05. 2019: Adenokarzinom Oberlappen rechts ED 02/2019 | cT4 cN1 cM1 Stadium IV | EGFR Exon 19 (p.L747_A750delinsP), PD-L1>50%, MET IHC 3+ | ECOG 0 | FEV1 2.021 (104%), TLCO 96%